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Steigende Zinsen – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen für die Lebensversicherungsbranche (Teil 3)

Der Druck auf das klassische Bestands- und Neugeschäft nimmt zu!

Steigende Zinsen erhöhen den Druck auf die Attraktivität klassischer Produkte. Und zwar ebenso im Neugeschäft wie im Bestand. Auch wenn der Rechnungszins im Neugeschäft zukünftig wieder angehoben und auch die Überschussbeteiligung steigen würde, so würde die Performance im Bereich der Klassik dem Markt zunächst hinterherhinken.

Mit „Klassik“ meine ich hier nicht etwa nur die reine Klassik, sondern eben auch Varianten wie zum Beispiel die Select- und Hybrid-Produkte. Für eine genauere Betrachtung der verschiedenen Produktvarianten empfehle ich einen früheren Klartext-Artikel.

Zwar werden die Klassik-Varianten durch den Zinsanstieg attraktiver als vergleichbare Produktvarianten früherer Jahre, aber eben nicht im Vergleich zu alternativen Produkten am Markt. Durch die derzeit toxische Mischung aus anhaltend hoher Inflation und steigenden Zinsen nimmt der Wettbewerb mit anderen Finanzprodukten wie Tages- und Festgeld oder strukturierten Produkten enorm zu.

Der zunehmende Wettbewerb mit anderen Finanzprodukten macht sich bereits im Neugeschäft der Lebensversicherer bemerkbar.

Nach einem Beitragsrückgang von rund 6 % im Jahr 20221 rechnet der GDV auch für das laufende Jahr mit deutlich sinkenden Beitragseinnahmen2. Weniger Neugeschäft im Bereich Klassik-Produkte bedeutet gleichzeitig auch weniger Mittelzufluss in das konventionelle Sicherungsvermögen der Lebensversicherer. Damit kann weniger Geld in neue Anleihen mit höheren Zinszahlungen fließen und der im vorherigen Artikel beschriebene Umbau des konventionellen Sicherungsvermögens dauert noch länger.  

Auch das klassische Bestandsgeschäft der Lebensversicherer kommt bei steigenden Marktzinsen unter Druck.

Aufgrund der Attraktivität anderer Finanzprodukte könnte das klassische Bestandsgeschäft einem höheren Storno ausgesetzt sein. Stornos führen beim Lebensversicherer zu einem Mittelabfluss aus dem konventionellen Sicherungsvermögen. In der Folge kann der Lebensversicherer dazu gezwungen sein, Teile seiner Kapitalanlagen im konventionellen Sicherungsvermögen zu verkaufen. Die weniger liquiden Kapitalanlagen stehen dafür in der Regel nicht zur Verfügung. Daher werden bei Verkäufen vor allem Anleihen im Fokus stehen. Und das kann für einen Lebensversicherer zum Problem werden.

Wie bei Aktien und anderen Wertpapieren schwankt auch der Marktwert von Anleihen, insbesondere durch die Abhängigkeit vom Marktzins. Allgemein lässt sich sagen, dass der Wert einer Anleihe sinkt, wenn der Marktzins steigt – und umgekehrt. Der aktuelle Anstieg des Marktzinses hat nicht nur dazu geführt, dass neu emittierte Anleihen höhere laufende Zinszahlungen bieten, sondern auch dazu, dass der Marktwert von früher emittierten Anleihen zum Teil deutlich gesunken ist. Dieser Wertverlust kann auch größere Dimensionen annehmen. Grafik 1 zeigt, dass der Kurs einer italienischen Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von derzeit rund 8 Jahren innerhalb eines Jahres um rund 20 % gesunken ist.


Grafik 1: Kursverlauf einer italienischen Staatsanleihe (ISIN: IT0005436693), Quelle: https://www.boerse-frankfurt.de/anleihe/it0005436693-italien-republik-0-6-21-31

Bei einer spanischen Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von rund 30 Jahren hat sich der Kurs sogar um mehr als 30 % reduziert.


Grafik 2: Kursverlauf einer spanischen Staatsanleihe (ISIN: ES0000012K46), Quelle: https://www.boerse-frankfurt.de/anleihe/es0000012k46-spanien-koenigreich-1-9-22-52

Neben dem Marktzins beeinflussen weitere Faktoren, wie zum Beispiel die Bonität des Emittenten, den Marktwert einer Anleihe.

Liegt nun der Marktwert einer Anleihe im Portfolio des Lebensversicherers unterhalb des Kaufkurses, so spricht man von einer stillen Last. Eine stille Last ist zunächst nicht weiter schlimm, da der Lebensversicherer die Anleihe in der Absicht gekauft hat, sie bis zur Fälligkeit zu behalten. Ein zwischenzeitlicher Marktwertverlust führt in diesem Fall zu keinem echten Verlust, da er ja nicht realisiert wird.

Ist der Versicherer jedoch gezwungen, die Anleihe zu verkaufen, realisiert der Lebensversicherer die stille Last. Dies bedeutet für den Lebensversicherer einen Verlust, der durch andere Gewinne ausgeglichen werden muss, was wiederum den Druck auf die zukünftige Überschussbeteiligung erhöht. Die Realisierung stiller Lasten kann sogar einen Teufelskreis in Gang setzen: Es kann zu mehr Stornos und weniger Neugeschäft kommen, was wiederum zu mehr Verkäufen von Anleihen und damit zu noch mehr Verlusten führt.

Tatsächlich hatten die Lebensversicherer in Deutschland in ihren Bilanzen Ende des Jahres 2022 „stille Lasten von etwa 110 Mrd. €“3 zu verbuchen. Wie die Lage bei einzelnen Lebensversicherern genau ist, verrät der jeweilige aktuelle Geschäftsbericht.

Nebenbei bemerkt: Auch Umschichtungen bei dynamischen Hybridprodukten können dazu führen, dass der Lebensversicherer stille Lasten realisieren muss. Hier führen beispielsweise steigende Fondskurse dazu, dass der Anteil der Kundenguthaben am konventionellen Sicherungsvermögen reduziert wird. Auch in diesem Fall kann ein Verkauf von Kapitalanlagen im konventionellen Sicherungsvermögen zur Realisierung stiller Lasten führen. Es sei denn, der Lebensversicherer hat sich in weiser Voraussicht bei der Produktgestaltung in den Vertragsbedingungen eine gewisse „Flexibilität“ eingeräumt. Dann kann er bequem auf solche Umschichtungen verzichten. Das ist zwar gut für den Lebensversicherer, aber bei weiter steigenden Fondskursen schlecht für den einzelnen Kunden, weil dadurch einfach weniger Guthaben als möglich in die renditestarken Kapitalanlagen investiert ist.

Druck auf das Neugeschäft der Lebensversicherer kommt auch von anderer Seite. Der Abschlussbericht der Fokusgruppe private Altersvorsorge birgt erheblichen Sprengstoff für die Branche. Darin wird unter anderem empfohlen, bei der steuerlich geförderten Altersvorsorge „auf eine obligatorische, in der Höhe konstante oder steigende Absicherung des Langlebigkeitsrisikos zu verzichten“4. Die empfohlene Produktgestaltung ist also nur auf die Vorsorge eines „bestimmten“ Teils des Alters ausgelegt.

Kurzum: Der einfache ETF-Spar- und Auszahlplan wird so zum Nonplusultra der geförderten Altersvorsorge. Und die Rentenversicherung könnte in der Vitrine eines Museums verschwinden.

Die Zeit ist reif für die Zeitenwende in der Produktentwicklung von Lebensversicherungen. Neue, marktgerechte Produktlösungen können das Neugeschäft der Lebensversicherer ankurbeln. Das werden wir im nächsten und letzten Teil unserer „kurz & knapp“-Serie zum Thema #SteigendeZinsen genauer unter die Lupe nehmen.

Weiter zum vierten Teil.

Quellen und Anmerkungen

1: Entnommen aus dem Artikel „Lebensversicherungen: Neugeschäft mit Riester-Renten bricht dramatisch ein“ in Das Investment vom 13.07.2023, abrufbar via Webseite: https://www.dasinvestment.com/gdv-lebensversicherungen-bilanz-bav-direktversicherungen-riester/

2: Entnommen aus dem Artikel „Heiter bis bewölkt: GDV legt Sommerprognose vor“ in AssCompact vom 31.07.2023, abrufbar via Webseite: https://www.asscompact.de/nachrichten/heiter-bis-bew%C3%B6lkt-gdv-legt-sommerprognose-vor

3: Entnommen aus dem Artikel „Stille Reserven plötzlich stille Lasten“ in Pfefferminzia vom 21.04.2023, abrufbar via Webseite: https://www.pfefferminzia.de/stille-reserven-ploetzlich-stille-lasten-dann-waeren-viele-lebensversicherer-in-einer-misslichen-lage/

4: Zu finden in Ziffer 9 auf Seite 7 des Abschlussberichts der Fokusgruppe. Dieser Bericht kann über die Webseite des Bundesfinanzministeriums abgerufen werden: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/abschlussbericht-fokusgruppe-private-altersvorsorge.html