Deutsch / Opinion

Was geben die Solvenzquoten der deutschen Lebensversicherer her?

Die Einführung von Solvency II liegt bereits einige Jahre zurück. Zeit, bei den Lebensversicherern einen Blick auf die Zahlen der letzten Jahre zu werfen.

Vorab: Eine kleine Hilfestellung zur Einsortierung der Solvenzquoten

Glücklicherweise gibt es bis heute keinen Wettbewerb um die Solvenzquote. Dies dürfte zum einen daran liegen, dass die Unternehmen sehr wohl wissen, dass es sich nur um eine sehr vage Momentaufnahme handelt. Zum anderen tun sich andere Marktteilnehmer sichtlich schwer, die Zahlen zu verstehen und zu interpretieren.

Die Solvenzquote ist bestenfalls eine vage Momentaufnahme und kein stabiler Indikator für die langfristige Zukunft. Bei den in der Lebensversicherung üblichen langen Vertragslaufzeiten wird sich ein Kunde bei Vertragsabschluss kaum auf die heute vielleicht gute Solvenzquote eines Lebensversicherers verlassen. Schon morgen kann diese Quote (ganz) anders aussehen. Und in der Tat werden wir bei der Betrachtung der Zahlen eine recht hohe Variabilität der Solvenzquoten feststellen.

Und selbst bei einer aktuell guten Solvenzquote gilt: Was heißt gut, wenn man nicht weiß, wie die Quote zustande gekommen ist?

Die Deutsche Aktuarvereinigung bringt es auf den Punkt: „Ein Dilemma besteht darin, dass einerseits die Reduktion auf die Solvenzquote als einzelne Zahl nicht sachgerecht und andererseits die Berechnung selbst für Fachleute kaum nachvollziehbar ist.“1.

Eine einzige Kennzahl kann die Komplexität der verschiedenen Risiken eines Lebensversicherers nicht in der Breite und Tiefe abbilden. Je nachdem, ob sich ein Unternehmen hauptsächlich auf den Verkauf von Fondspolicen oder von Risikoversicherungen spezialisiert hat, können sich die Quoten zum Teil gravierend unterscheiden. Zur Berechnung der Solvenzquote verwenden die Versicherer unterschiedliche Modelle bzw. Modellversionen. Das verwendete Modell, die Eingaben in das Modell sowie die Festlegung der zahlreichen Modellparameter haben einen starken Einfluss auf die Höhe der Solvenzquote.

Ein Vergleich der Zahlen ist nicht angebracht. Um dies zu untermauern, machen wir es trotzdem.

Der Blick auf die nackten Zahlen

Aufsichtsrechtlich sagt man, dass Unternehmen mit einer Solvenzquote über 100 Prozent über ausreichende Kapitalreserven für Negativszenarien verfügen, die statistisch einmal in 200 Jahren eintreten.

Unter der Solvenzquote verstehen wir im Folgenden die sogenannte Brutto-Solvenzquote, also die Solvenzquote unter Berücksichtigung aller aufsichtsrechtlich zulässigen Erleichterungen.

Für die nachfolgende Analyse haben wir die Solvenzquoten von 72 deutschen Lebensversicherern berücksichtigt, für die uns Zahlen zur Solvenzquote für die Jahre 2017 bis 2022 vorliegen.

Erkenntnisse aus den Zahlen für das Jahr 2022

Die durchschnittliche Solvenzquote liegt bei rund 600 Prozent. Dies ist gegenüber dem Vorjahr, mit durchschnittlich rund 477 Prozent, eine Steigerung von über 100 Prozentpunkten. Das positive Kapitalmarktumfeld mit den gestiegenen Zinsen wirkt sich sehr positiv aus.

Die kleinste Solvenzquote liegt bei rund 160 Prozent und die größte bei rund 1.416 Prozent, also sagenhafte 1.256 Prozentpunkte höher. Diese starke Spreizung bei den Lebensversicherern ist auch bereits in den vergangenen Jahren zu beobachten. Dies schauen wir uns weiter unten noch genauer an.

Die Verteilung der Solvenzquote für das Jahr 2022 gestaltet sich wie folgt. DIe MEhrheit der Unternehmen liegt im Bereich von 300 Prozent bis 900 Prozent.



Weiterhin ist interessant zu sehen, wie sich die Solvenzquote bei den einzelnen Unternehmen von 2021 auf 2022 verändert hat.



Während wir auf Gesamtsicht eine deutliche Steigerung der Solvenzquote sehen, unterscheidet sich die Veränderung von Unternehmen zu Unternehmen jedoch recht deutlich. Es gibt Unternehmen, bei denen sich die Quote teils stark und um mehr als 800 Prozentpunkte verbessert. Es gibt aber auch Unternehmen, bei denen sich die Quote stark und um mehr als 280 Prozentpunkt reduziert.

Erkenntnisse aus der Entwicklung der Solvenzquoten über die letzten Jahre

Im Branchendurchschnitt haben sich die Quoten durch den Zinsanstieg deutlich verbessert. Ende 2022 liegt die durchschnittliche Solvenzquote mit rund 600 Prozent um gut 200 Prozentpunkte höher als noch im Jahr 2020. Das Branchenmittel hat sich in den Jahren 2017 bis 2022 wie folgt entwickelt:



Es zeigt sich in allen Jahren eine deutliche Spreizung zwischen der höchsten und niedrigsten Solvenzquote eines Jahres.

Beim Blick auf die aktuellen Solvenzquoten könnte der Eindruck entstehen, dass mit den steigenden Marktzinsen bei den Lebensversicherern nun wieder alles „in Butter“ ist. Ganz so einfach ist es leider nicht. Mehr dazu in meiner Artikel-Serie zu #SteigendeZinsen.

Wie hat sich die Verteilung der Solvenzquoten über die Jahre entwickelt? Betrachten wir dazu die Verteilung der Solvenzquote in den Jahren 2017 und 2022.



Während sich noch im Jahr 2017 die Mehrheit der Unternehmen im Bereich von 200 Prozent bis 500 Prozent tummelten, befindet sich im Jahr 2022 die Mehrheit der Unternehmen im Bereich von 300 Prozent bis 900 Prozent. Es ist also eine deutliche Verschiebung in die höheren Bereiche zu verzeichnen.

Spannend ist auch die Entwicklung von ausgewählten Unternehmen in den Jahren 2017 bis 2022.



Während die fünf ausgewählten Unternehmen im Jahr 2017 bei der Solvenzquote noch recht nah beieinander lagen, weisen sie in den Folgejahren eine deutlich unterschiedliche Entwicklung auf. Bemerkenswert ist zum Beispiel die gegenläufige Entwicklung bei Unternehmen 3 (Linie in weißer Farbe) zwischen dem Jahr 2018 und 2019. Während die Solvenzquote bei den anderen Unternehmen deutlich sinkt, steigt sie bei Unternehmen 3 signifikant an. Bemerkenswert ist auch die durchweg sinkende Solvenzquote bei Unternehmen 5.

Betrachtet man den Absolutwert der Veränderung von einem auf das andere Jahr und addiert diese Absolutwerte für jedes Unternehmen, dann ergibt sich folgendes Bild.



Während zum Beispiel bei Unternehmen 5, 17 und 39 die Solvenzquote über die Jahre ziemlich stabil bleibt, gibt es andere Unternehmen, zum Beispiel die Unternehmen 21, 55 und 66, bei denen sich die Solvenzquote von Jahr zu Jahr sehr stark verändert.

Fazit: Es ist absolut in Ordnung, wenn Marktteilnehmer, wie zum Beispiel Endkunden und Vermittler, den Solvenzquoten keine sonderliche Beachtung schenken.

Details zu Solvency II bei einem Lebensversicherer finden Sie im jeweiligen Bericht über Solvabilität und Finanzlage (SFCR). Diesen finden Sie, wie auch zum Beispiel den Geschäftsbericht, auf der Webseite des Unternehmens.

Quelle:

1: Das Zitat haben wir aus dem Fachartikel «Solvenzquote – Eine Momentaufnahme mit beschränkter Aussagekraft» entnommen. Der Fachartikel kann über die Webseite der Deutschen Aktuarvereinigung heruntergeladen werden: https://aktuar.de/fachartikelaktuaraktuell/AA32_Solvabilitaetsquote.pdf