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„Value for Money“ – Ist Kundennutzen wirklich messbar?

Es ist sehr einfach geworden, die Preise fast aller Waren zu vergleichen. Ob im Supermarkt um die Ecke oder im Onlineshop von Zalando oder Amazon, alles hat ein Preisschild. Mit einfacher Mathematik lässt sich fast alles gegenüberstellen. Auf Vergleichsplattformen kann man heute sogar Versicherungen vergleichen. Während man als Preis die zu zahlende Versicherungsprämie nehmen kann, wird es bei der konkreten Leistung, also dem Wert einer Versicherung, schon deutlich schwieriger.

Geht es nach dem europäischen Gesetzgeber und den europäischen Versicherungsaufsichtsbehörden, so soll bei dem Produktangebot der Lebensversicherer der Gedanke von „Value for Money“, zu Deutsch etwa „Preis-Leistungs-Verhältnis“, stärker Berücksichtigung finden.

In diesem Artikel schauen wir uns deshalb genauer an:

  • Was verstehen die europäischen Aufsichtsbehörden im Kontext einer Lebensversicherung unter „Value for Money“?
  • Welche Schwierigkeiten bestehen dabei, das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Lebensversicherungsvertrags genau zu beziffern?
  • Welche Auswirkungen hat die europäische Initiative auf Vermittler und Lebensversicherer?

In Deutschland kämpfen Verbraucherschützer seit Jahrzehnten für mehr Klarheit bei Lebensversicherungsprodukten. Dabei geht es um Transparenz bei der Produktgestaltung, um die Frage, welche Wertentwicklung mit einem Produkt realistisch möglich ist, und natürlich auch um die Kosten eines Produkts. Im Fokus steht mehr Transparenz beim Preis-Leistungs-Verhältnis.

Dieses Streben nach Transparenz bei Lebensversicherungsprodukten hat in Deutschland und auch in der EU eine lange Tradition. In meinem Klartext-Artikel „Wie Lebensversicherungsprodukte (beinahe) transparent und vergleichbar wurden“ habe ich für Deutschland die wichtigsten Etappen der letzten 2 Jahrzehnte zusammengefasst.

Nun geht das Ringen um mehr Transparenz in die nächste Runde. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist Teil der im letzten Jahr vorgestellten EU-Kleinanlegerstrategie („Retail Investment Strategy“, kurz RIS).1

Die RIS soll Bürger der EU dazu ermutigen, ihre Ersparnisse verstärkt auf den Kapitalmärkten anzulegen. Dadurch soll zum einen die drohende Altersvorsorgelücke geschlossen und zum anderen die „grüne“ Transformation der Wirtschaft vorangetrieben werden. Da es dabei eben auch um Altersvorsorge geht, kommt Lebensversicherern eine besondere Rolle zu.

In einem Factsheet hat die Europäische Kommission2 die zentralen „Probleme“ der Kleinanleger von heute identifiziert. Nachfolgend nenne ich nur 3 davon:

  1. Kleinanleger haben Schwierigkeiten, Zugang zu relevanten, vergleichbaren und leicht verständlichen Informationen zu erhalten, um selbst fundierte Anlageentscheidungen treffen zu können.
  2. Die Finanzberatung erfolgt nicht immer im besten Interesse der Kleinanleger.
  3. Einige Anlageprodukte bieten dem Kleinanleger kein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Die RIS sieht unter anderem vor, neue Anforderungen an die Product Governance zu stellen, insbesondere im Hinblick auf die Preisgestaltung der Produkte. Um sicherzustellen, dass Anleger das bestmögliche Preis-Leistungs-Verhältnis erhalten, soll ein „Value for Money“-Ansatz in das Produktmanagement der Produkthersteller eingeführt werden.

Ziel ist es, dass Produkte mit einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis gar nicht erst auf den Markt kommen. Dies setzt voraus, dass neue oder überarbeitete Produkte vor ihrer Markteinführung einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse im Rahmen des „Value for Money“-Ansatzes unterzogen werden.

Bereits im Jahr 2022 hat sich die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) des Themas „Value for Money“ angenommen.3 Die EIOPA verfolgt den Ansatz, eine Vielzahl ausgewählter Kennzahlen zu definieren, anhand derer die Produktanbieter dann den „Value for Money“ ihrer Produkte überprüfen müssen. Der Fokus liegt dabei auf Kosten- und Performance-Kennzahlen. Seit Dezember 2023 läuft die Konsultation der EIOPA zu ihrem konkreten Methodenvorschlag.4

Kurz nach der EIOPA hat auch die BaFin in ihrem Merkblatt 01/2023 („Wohlverhaltensaufsichtliche Aspekte bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“) das Thema „Value for Money“ aufgegriffen.5 Im Mittelpunkt des Merkblatts steht die Frage, wie Unternehmen den angemessenen Kundennutzen ihrer vertriebenen Produkte ermitteln können. Dreh- und Angelpunkt ist auch hier das Produktfreigabeverfahren. Im Merkblatt wird formuliert, wie die Anbieter von Altersvorsorgeprodukten im Rahmen des im Jahr 2018 eingeführten Produktfreigabeverfahrens die Feststellung eines angemessenen Kundennutzens berücksichtigen sollen.

Alle genannten Initiativen zielen auf eine stärker quantitativ ausgerichtete Überprüfung des Kundennutzens von Versicherungsprodukten durch die Anbieter ab. Lebensversicherer müssen künftig rechnerisch nachweisen, dass die Renditeziele ihrer Produkte auch mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. Doch ist diese (technische) Überprüfung überhaupt möglich und sinnvoll?

Selbstverständlich müssen Lebensversicherungsprodukte dem Kunden einen Nutzen bringen. Dazu gehört sicherlich auch ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis. Die von den Behörden vorgeschlagenen neuen Spielregeln zur Identifikation von guten und schlechten Preis-Leistungs-Verhältnissen sind rein quantitativer Natur.

Niedrige Kosten werden häufig als Indikator für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis angesehen. Zur Messung der Produktkosten haben sich auch bereits verschiedene Kostenkennzahlen etabliert. Die am häufigsten verwendete Kennzahl dürfte die sogenannte „Reduction in Yield“ (kurz: RIY) sein. Bei dieser Kostenkennzahl werden alle Kosten eines Produkts in eine jährliche Renditeminderung umgerechnet. Die RIY gibt also die durchschnittliche Minderung der jährlichen prozentualen Wertentwicklung des Guthabens im Anlageprodukt durch alle im Produkt eingerechneten Kosten an.

Bei einer fondsgebundenen Rentenversicherung beinhaltet die RIY die effektiven Kosten im Versicherungsprodukt sowie die laufenden Kosten innerhalb der Kapitalanlage (zum Beispiel Fonds oder ETFs).

Auf Basis der RIY ist ein Vergleich der Kosten verschiedener Produkte recht gut möglich, wenn man von Detailfragen bei der Berechnung der RIY und auch gewissen Unschärfen bei den Eingangsparametern großzügig absieht.

Bereits heute wird die RIY vielfach verwendet, zum Beispiel bei PRIIP KIDs oder bei der Angabe der Effektivkosten nach der VVG-Informationspflichtenverordnung. Doch wie genau hilft diese RIY Vermittlern und Endkunden nun weiter?

Wir müssen also unbedingt weg von der reinen Kostenbetrachtung und hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Chancen und Risiken eines Altersvorsorge- oder Anlageprodukts. Das dabei die einfache Hochrechnung mit einer Wertentwicklung von 3, 6 oder 9 % nicht hilfreich ist, hat sich mittlerweile hoffentlich bereits herumgesprochen.

Einzig hilfreich für einen quantitativen Produktvergleich ist das genaue Rendite-Risiko-Profil eines Anlageprodukts. Da die Kosten die Rendite beeinflussen, sind bei einem „guten“ Rendite-Risiko-Profil die Kosten bereits vollends berücksichtigt, sodass ein separater Kostenvergleich gar nicht notwendig ist.

Wie kann man das Rendite-Risiko-Profil eines Produkts richtig einschätzen und mit einem Profil eines anderen Produkts vergleichen? Zu den Schwierigkeiten beim Vergleich von privaten Rentenversicherungen empfehle ich Ihnen gerne meinen früheren Klartext-Artikel „Die private Rentenversicherung zwischen Wissenschaft und Religion“.

Es ist allgemein bekannt, dass der Blick in den Rückspiegel, das heißt die Betrachtung der Performance vergangener Jahre, wenig hilfreich ist, um das Rendite-Risiko-Profil eines Anlageprodukts für die Zukunft abzuschätzen. Dennoch wimmelt es nur so von Charts über die Performance der Vergangenheit. Nicht zu vergessen sind auch die zahlreichen „Backtests“6, die mit besonderer Vorsicht zu genießen sind.

Bei der Betrachtung des zukünftigen Renditepotenzials müssen wir also berücksichtigen, dass die Zukunft unsicher ist. Aus diesem Grund haben sich sogenannte stochastische Simulationen etabliert. Bei einer stochastischen Simulation werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, die einen Einfluss auf das Rendite-Risiko-Profil eines Anlageprodukts haben können. Dies können zum Beispiel die Schwankungen am Aktienmarkt, Zinsänderungen oder auch andere volkswirtschaftliche Indikatoren (wie zum Beispiel Inflation) sein.

Im Grunde genommen dienen stochastische Simulationen dazu, eine Vielzahl von möglichen Wertentwicklungen eines Anlageprodukts „vorherzusagen“. Es werden viele mögliche Zukunftsszenarien erzeugt. Und daraus kann letztlich dann das Rendite-Risiko-Profil der Anlage abgeleitet werden.

Aber Vorsicht! Stochastische Simulationen werden stark von den getroffenen Annahmen beeinflusst. Sowohl bei der Festlegung der Annahmen als auch bei der Modellwahl betreten wir absolutes Expertengebiet. Für einen Laien ist es schwierig, die Ergebnisse von stochastischen Simulationen zu interpretieren und vor allem richtig einzuordnen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich einige Produkteigenschaften nicht so gut mit quantitativen Kennzahlen bewerten lassen. Gerade bei Altersvorsorgeprodukten gibt es zahlreiche weitere Aspekte, die qualitativer Natur sind und die von den individuellen Kundenbedürfnissen abhängen. Hierzu zählen beispielsweise das Sicherheitsbedürfnis des Kunden, die generelle Flexibilität des Produkts sowie der Service des Produktanbieters oder eben auch die Absicherung biometrischer Risiken, wie zum Beispiel der Langlebigkeit bei einer privaten Rentenversicherung.

Die möglichen Auswirkungen der Anwendung des „Value for Money“-Ansatzes sind vielfältig; einige davon werde ich im Folgenden kurz diskutieren:

  • Mehr Aufwand für den Lebensversicherer bei der Entwicklung und Verwaltung seiner Produkte: Im Rahmen des Produktgenehmigungsverfahrens muss der Lebensversicherer nun zahlreiche zusätzliche Analysen durchführen und nachweisen, dass die Produkte ein Mindestmaß an Renditechancen und ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen.
  • Potenziell mehr Dokumente für den Kunden: Auch wenn Aussagen über die Vergangenheit natürlich nicht unbedingt eine Prognose für die Zukunft darstellen, so kann man doch sagen, dass der Dokumentationswahn in den letzten 20 Jahren zugenommen hat. Mit jedem Schritt hin zu mehr (vermeintlicher) Transparenz ist der Umfang der Dokumentation gewachsen. Ursprünglich wollte die EU-Kommission die Vorgaben zu den Informationspflichten verschlanken und vor allem modernisieren. Was die Modernisierung betrifft, so ist derzeit vorgesehen, dass die digitale Übermittlung von Informationen künftig Standard sein soll – und zwar für alle Versicherungsprodukte. Das ist gut. Bei der Verschlankung der Informationen ist aber noch viel Luft nach oben.
  • Mehr Aufwand im Vertrieb: Der Vertrieb muss nun noch genauer prüfen, ob und wie ein Lebensversicherer die Anforderungen an das Preis-Leistungs-Verhältnis erfüllt. Auch muss er die Preis-Leistungs-Verhältnisse der Produkte verstehen und in seiner Beratung vergleichen können. Wenn es mehr Dokumente für den Endkunden gibt, bedeutet auch dies mehr Aufwand für den Vertrieb.
  • Kostendruck bei Produktherstellern und möglicher Kostendeckel: Das Produktfreigabeverfahren ist mit deutlich mehr Aufwand verbunden. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten. Um die Mindeststandards beim Preis-Leistungs-Verhältnis einzuhalten, wird der eine oder andere Versicherer vermutlich auch Kosten einsparen müssen, es sei denn, er nimmt eine geringere Gewinnmarge in Kauf. Hier hilft nur mehr Effizienz in den internen Prozessen und im Vertragsmanagement. Werden wir aufgrund der neuen Standards sogar einen branchenweiten Kostendruck sehen, ist nicht auszuschließen, dass die neuen Mindeststandards beim Preis-Leistungs-Verhältnis implizit einen Kostendeckel nach sich ziehen werden.
  • Rückkehr zu einer Produktkontrolle: Die Einführung des „Value for Money“-Ansatzes im Produktfreigabeverfahren könnte ein erster Schritt in Richtung mehr Produktkontrolle sein.
  • Höhere Vergleichbarkeit der Produkte: Dies kann unter anderem dadurch erreicht werden, dass durch Mindeststandards im Preis-Leistungs-Verhältnis mögliche Schlupflöcher, Grauzonen und intransparente Produktgestaltungen verschwinden. Mittelfristig bedeutet dies einfachere und vielleicht sogar „standardisierte“ Produkte. PEPP5 war bereits ein erster bewusster Versuch in genau diese Richtung. Die damit verbundene höhere Vergleichbarkeit trägt zwar zur Transparenz bei und hilft damit dem Endkunden, könnte aber auch eine mögliche Konsolidierung unter den Lebensversicherern auslösen.

Es wird nicht langweilig. Die Aufsichtsbehörden und die Europäische Kommission haben ein Ziel und einen Plan. Lebensversicherungsprodukte sollen einfacher und vergleichbarer, die Kosten transparenter und vor allem niedriger werden. Dafür muss die gesamte Branche umdenken.

Eigentlich sollten die neuen Produktinformationsblätter (PRIIP KID und Co.) schon für mehr Transparenz sorgen. Doch der Plan ist nicht ganz aufgegangen.

Viele Bürger haben weiterhin keine ausreichenden Erfahrungen mit Anlageprodukten und nicht genügend Kenntnisse darüber. Die Vielzahl an teils sehr technischen Begriffen erschwert die einfache Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte erheblich. Auch die oben besprochenen technischen Kennzahlen liefern oft nur eine Schein-Vergleichbarkeit und können nur von Experten richtig interpretiert und einsortiert werden.

Die Unternehmen sind gefordert, tun aber oft nur das Nötigste, um die Vorschriften halbwegs zu erfüllen. Ein wirkliches Umdenken hat in der Branche noch nicht stattgefunden. Von allein werden die Produkte nicht einfacher und vergleichbarer.

Die Europäische Kommission und die Aufsichtsbehörden werden in Zukunft wohl noch härter durchgreifen müssen, um ihr großes Ziel noch zu erreichen.

Quellen und Anmerkungen:

1: Details zur RIS finden sich auf der Webseite der Europäischen Kommission: https://finance.ec.europa.eu/publications/retail-investment-strategy_en

2: Das Factsheet der Europäischen Kommission kann über den nachfolgenden Link heruntergeladen werden: https://finance.ec.europa.eu/document/download/ce290ee2-1f05-41f6-9540-84c3605ccb0f_en?filename=230524-retail-investment-strategy-factsheet_en.pdf

3: Mehr Informationen hierzu finden Sie auf der Webseite der EIOPA über den nachfolgenden Link: https://www.eiopa.europa.eu/eiopa-issues-its-methodology-assessing-value-money-unit-linked-market-2022-10-31_en

4: Weiterführende Informationen zur Konsultation der EIOPA können über den nachfolgenden Link abgerufen werden: https://www.eiopa.europa.eu/consultations/consultation-methodology-value-money-benchmarks_en

5: Das Merkblatt 01/2023 der BaFin kann auf der Webseite heruntergeladen werden: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Merkblatt/VA/mb_01_2023_wohlverhaltensaufsichtliche_aspekte_va.html

6: Mit „Backtest“ meine ich eine Analysemethode, die verwendet wird, um die Performance eines Anlageprodukts (beziehungsweise dessen Anlagestrategie) anhand von historischen Daten zu bewerten. Dabei wird die Anlagestrategie auf Daten aus der Vergangenheit angewendet, um zu sehen, wie diese Anlagestrategie sich in der Vergangenheit verhalten hätte. Ein Backtest ermöglicht es, Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie effektiv oder rentabel das Produkt unter verschiedenen Marktbedingungen gewesen wäre. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass ein erfolgreicher Backtest keine Garantie für den zukünftigen Anlageerfolg ist. Unter zukünftig anderen Marktbedingungen können und werden die Ergebnisse sich deutlich von denen aus dem Backtest unterscheiden.