Wenn man in den letzten Monaten oder vielmehr Jahren der einschlägigen Presse sein Ohr schenkte, dann kann die Frage, die ich in der Überschrift gestellt habe, nur rhetorisch gemeint sein. Die Antwort lautet demnach natürlich ganz klar „Ja!“.
Auch der Bundesverband der Versicherten hat neulich (wieder) in das gleiche Horn geblasen. Dort rangierten auf Platz 1 der unnötigsten Versicherungen – ja, Sie können es sich bereits denken – die kapitalbildende Lebensversicherung und die private Rentenversicherung1. Nicht etwa, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden, es werden kurzerhand auch alle Lebenprodukte für die Altersvorsorge über einen Kamm geschoren. Als wenn die Welt so einfach wäre.
Ich wünsche mir eine differenziertere Betrachtung und eine sachliche, öffentliche Diskussion. Bei dem neuen Zeitgeist „Populismus“ ist dies aber leider wohl nur ein Wunschdenken.
Und warum nur bleibt die ganze Branche eigentlich dabei so stumm?
Ohne Zweifel, Sparer in Deutschland haben eine Rendite-Misere. Und diese hat viele Väter. Die meisten der Väter zeigen auf den einen Hauptschuldigen – so auch die Lebensversicherer. Allianz-Chef Oliver Bäte beklagte neulich die „Enteignung“ der deutschen Sparer durch den Niedrigzins2. Für einen Lebensversicherer gleicht die nun schon länger andauernde Situation der Vertreibung aus dem Paradies.
Bei allem Verständnis für das Gejammer der Lebensversicherer: Weder ist
die aktuelle Situation neu, noch ist sie alternativ- und ausweglos.
Nur ein „weiter so“ geht nun eben nicht mehr!
Viel Vermögen ist vom Niedrigzins betroffen
Schauen wir uns die aktuelle Lage der Sparer in Deutschland einmal genauer an und werfen einen Blick auf die Anlagestruktur. Die Bundesbank veröffentlicht regelmäßig Statistiken zur Entwicklung und zur aktuellen Aufteilung des Geldvermögens der privaten Haushalte. Demnach ist das Geldvermögen der Sparer zu etwa 43 Prozent in Finanzprodukte mit Fokus auf Zinsen (inklusive Bar- und Tagesgeld) und rund 38 Prozent in Lebens- und Rentenversicherungen angelegt3. Von dem Vermögen in den Lebens- und Rentenversicherungen sind wiederum rund 90 Prozent klassisch veranlagt4.
In Summe bedeutet dies also, dass rund 77 Prozent des Geldvermögens unmittelbar und negativ vom anhaltenden Niedrigzinsumfeld betroffenen sind. Dabei sind ebenfalls betroffene Anlagen in den verbleibenden 23 Prozent des Geldvermögens (zum Beispiel frei erworbene Investmentfondsanteile) noch gar nicht berücksichtigt.
Dass alle Anleger in Deutschland einen sehr, sehr defensiven Anlagestil verfolgen, kann einfach nicht richtig und sinnvoll sein.
Schuld an dem Schlamassel
Warum die Lage so ist, hat natürlich verschiedene Gründe und Ursachen. Auch der Aktiencrash zu Beginn des Jahrtausends und die Finanzkrise nur wenige Jahre später haben ein großes Misstrauen hinterlassen. Es ist kaum verwunderlich, dass ein Anleger in Deutschland derzeit Aktien scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Nicht ganz unschuldig dabei sind wohl auch die Lebensversicherer. Über viele Jahre wurde dem Vertrieb eingetrichtert, dass nur Garantien das einzig Wahre sind. Und natürlich auch nur Garantien eines deutschen Lebensversicherers. Dieser Bumerang musste ja irgendwann einmal wieder zurückkommen und er tut dies natürlich zu einer Unzeit.
Das Problem ist vermutlich aber noch tiefer verwurzelt. Es dämmert so langsam auch der Politik, dass das (immer noch) fehlende Fach „Finanzen“ in der Schule sehr dazu beigetragen hat, dass Sparer in Deutschland mehr als nur defensiv unterwegs sind.
Unwissenheit über den eigenen aktuellen Finanzstatus und die ganzen Möglichkeiten schaffen Angst und Misstrauen. Getreu dem Motto „Was der Bauer nicht kennt …“ werden Aktien und der Kapitalmarkt lieber gemieden.
Und wie reagieren die Lebensversicherer? „Mehr vom Gleichen“ und „immer weiter so“ lautet hier auf breiter Front die Devise. Dass die Lebensversicherer es unter anderem in Sachen Produkte eigentlich viel besser machen sollten, habe ich ja bereits im letzten Artikel meiner Klartext-Reihe deutlich gemacht5.
Die Liste der Schuldigen ist lang. Man könnte stundenlang über die Schuldfrage
philosophieren und jammern oder auch einfach mal nach vorne schauen!
Es gibt Alternativen und Auswege.
Die Königin unter den Lebensversicherungen in Sachen Investment-Chancen, die fondsgebundene Lebensversicherung (FLV), könnte den Karren aus dem Dreck ziehen
Als die Produktlandschaft in der Lebensversicherung noch überschaubar war, war die Auswahl ebenso denkbar einfach. Wer Garantie wollte, griff zur Klassik und wer Rendite und die Kapitalmarktnähe suchte, der bekam die FLV.
Heute wartet die Klassik mit einer überschaubaren Garantie und mauen Performance-Chancen auf. Viele „moderne“ Produkte zwischen Klassik und FLV sind eher nur eine verkappte Klassik, hängen also ebenso maßgeblich am Tropf des konventionellen Sicherungsvermögens.
Die fondsgebundene Lebensversicherung (oder eher Rentenversicherung) liefert den kompletten und freien Zugang zum Kapitalmarkt, wenn der Anbieter eine entsprechende Fondsauswahl vorweisen kann. Doch bis heute halten sich hartnäckige Vorurteile und zahlreiche Mythen rund um die FLV, die ihr das Leben im Vertrieb denkbar schwierig machen.
Die FLV kann ohne Zweifel Performance-Chancen liefern. Doch aufgepasst, FLV ist nicht gleich FLV –, es kommt auf die Kosten und die verfügbare Kapitalanlage an!
Äpfel, Birnen und ein Kamm
Die Lebensversicherer haben in der Vergangenheit teils selbstverschuldet bei der FLV mächtig Kredit verspielt – sei es bei den zu hohen Kosten oder der selbstverursachten Intransparenz. Auf Basis dieser negativen Erfahrungen mit der FLV entstanden zahlreiche Mythen und Vorurteile, die bei genauerem Hinschauen in dieser Form heute der Realität nicht mehr standhalten.
Vorurteil 1: Die FLV ist völlig intransparent
Dies mag vor allem in Sachen Kosten in der grauen Urzeit absolut richtig gewesen sein. Doch nach zahlreichen Transparenzinitiativen6 ist die Lage heute eine andere. Vielleicht ist die FLV noch nicht vollständig transparent und die verschiedenen Produkte der Anbieter werden noch nicht richtig miteinander verglichen, aber die Intransparenz von früher hat man definitiv hinter sich gelassen. Zum ganz großen Glück müssen jetzt nur noch die Berechnung der Effektivkosten und die Produktvergleiche fair und einheitlich werden.
Vorurteil 2: Die FLV ist verdammt teuer
Auf den ersten Blick mag es einem schon seltsam vorkommen, dass man ein zusätzliches Gefäß (nämlich das Versicherungsprodukt FLV) über einen Fonds stülpt, denn damit kommen weitere Kosten hinzu. Und da Kosten ja nun mal Renditefresser sind, macht für viele auf den ersten Blick eine FLV überhaupt keinen Sinn.
Ein möglicher steuerlicher Vorteil sowie die üblicherweise fehlenden Transaktionskosten beim Fondswechsel können den vermeintlichen Kosten-Nachteil aber locker wieder wettmachen. Zudem haben der Wettbewerb und die zunehmende Transparenz auch dazu geführt, dass die Kosten innerhalb der FLV über die letzte Dekade tendenziell zurückgegangen sind.
Vorurteil 3: Bei der FLV hat man nur eine sehr eingeschränkte Anlageauswahl
Okay, keine FLV wird wohl aktuell alle in Europa zugelassenen Investmentfonds, wir reden hier immerhin von über 30.000 Stück7, in ihrer Fondsauswahl anbieten. Aber mal ehrlich, das braucht es auch überhaupt nicht! Wichtig ist, dass alle wesentlichen Anlageschwerpunkte, Anlagestile und Anlageregionen zur Auswahl stehen. Auch die vom Versicherer oder einem Dritten verwalteten Portfolios (auch „managed funds“ genannt) können trotz der zusätzlichen Gebühren einen Mehrwert bringen. Vor allem dann, wenn der Endkunde sich nicht selbst um die Anlage kümmern kann oder will.
Vorurteil 4: Die FLV ist überhaupt nicht flexibel
Auch dies mag vielleicht für die ersten Policen aus den Anfängen der FLV-Zeit gelten. Heutige FLV-Produkte, die „state of the art“ sind, sind längst flexibel geworden: Sei es bei den Ein- und Auszahlungen, bei der Laufzeit und dem Rentenbeginn oder auch den Rentenzahlungen.
Vorurteil 5: Die FLV ist hochriskant
Die FLV gilt als hochriskant, da sie ja ohne jegliche Garantien und Sicherheiten angeboten wird. Dieses Vorurteil stammt definitiv aus der Zeit der Aktien- und Finanzkrise und war damals schon nicht ganz richtig. Denn ob eine FLV hochriskant ist oder nicht, hängt einzig und allein davon ab, welches Risikoprofil die ausgewählten Kapitalanlagen aufweisen und wie gut das Anlageportfolio in sich diversifiziert ist. Demnach kann, vorausgesetzt die Auswahl ist entsprechend vorhanden, mit der FLV jedes Rendite-Risiko-Profil von risikoarm bis hochriskant abgebildet werden. Zudem besteht die Möglichkeit, das Risiko-Profil über die Laufzeit anzupassen – ein weiterer Pluspunkt auch in Sachen „Flexibilität“!
Die FLV kann heute schon deutlich besser sein als es ihr aktueller Ruf vermuten lässt! Und in Zukunft werden die Anbieter noch jede Menge weiteres Verbesserungspotenzial heben.
Zeit für einen Neustart bei der FLV
Bei diesem Neustart muss die Branche zu allererst dem schlechten Image der FLV entgegenwirken. Die zahlreichen falschen Vorurteile und Mythen müssen endlich enttarnt werden. Und letztlich muss die FLV auch noch etwas modernisiert werden.
Mit einem Anlage-Navigator sollte ein Endkunde zusammen mit seinem Berater zu jedem Zeitpunkt das Anlageportfolio richtig aufstellen können.
Mit einer aussagekräftigen Simulation erhält er zu Vertragsbeginn und fortlaufend während der Vertragslaufzeit ein gutes Gefühl darüber, welche Ablaufleistung er am Ende erwarten kann. Nur so kann er sehen, ob er mit seinem aktuellen Sparaufwand und seiner aktuellen Anlagestrategie auf Kurs ist.
Dank der Digitalisierung wird es leicht möglich sein, dem Endkunden sein Vertragsguthaben sowie die aktuelle Zusammensetzung seines Portfolios in „real time“ zur Verfügung zu stellen.
Und letztlich können integrierte Sicherheitsmechanismen in „managed funds“ oder auf Ebene der FLV dafür sorgen, dass die Schwankungsbreite des Guthabens im Zeitverlauf zum Risiko-Profil des Endkunden passt. So bekommt der Endkunde wieder Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit.
Der Neustart wird sich lohnen – für Versicherer, Vertrieb und Endkunden. Für den Endkunden warten mit der FLV jede Menge Kapitalmarkt-Chancen. Dividenden gelten schon längst als „der neue Zins“. Und wie kann man diese Dividenden besser einsammeln als in einem breit diversifizierten Aktienfonds?
Es muss nicht immer alles klassisch sein. Die FLV hat sich bereits bei einigen Anbietern weiterentwickelt und verbessert. Und sie wird es auch weiter tun. Es besteht gar kein Grund, diese Produktkategorie per se zu meiden.
Doch aufgepasst, der nächste Crash am Kapitalmarkt kommt bestimmt! Handelskriege, Währungskriege, diverse geographisch-politische Pulverfässer haben das Potenzial, die Börsen wieder in Richtung Süden zu schicken. Doch das wird dann eine willkommene Gelegenheit sein, wieder günstiger am Kapitalmarkt zuzukaufen.
Es werden diejenigen Lebensversicherer und Vertriebe gewinnen, die die Menschen an die Hand nehmen und ihnen Alternativen im Niedrigzinsumfeld aufzeigen. Die Sparer in Deutschland brauchen einen stärkeren Einstieg in den Kapitalmarkt. Eine Art „betreutes Kapitalmarkt-Investieren“ im Rahmen der FLV kann genau einer der richtigen Wege sein.
Quellen:
1 https://www.dasinvestment.com/streit-bei-facebook-bdv-chef-nennt-private-renten-policen-unsinnig/
2 https://www.versicherungsbote.de/id/4882659/Allianz-Chef-Oliver-Bate-beklagt-Enteignung-der-Sparer/
3 Ich berichtete dazu bereits in meinem letzten Artikel: https://www.canadalifeaktuell.de/die-deutsche-lebensversicherung-sollte-das-eigentlich-viel-besser-koennen-5744
4 Der Anteil der Deckungsrückstellungen der FLV an den gesamten Leistungsverpflichtungen der Lebensversicherer beträgt rund 10 Prozent. Eigene Berechnung. Daten via https://www.gdv.de/de/themen/news/lebensversicherer-zahlen-fast-79-milliarden-euro-an-kunden-aus-49574.