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Ökosystem-Integration und Embedded Insurance für Versicherer

Es ist und bleibt ein Thema mit großem Potenzial, ein heißes Thema. Und doch begegnet uns immer wieder ein Stirnrunzeln, wenn wir das Wort «Ökosystem» in den Mund nehmen. Die anfängliche Unwissenheit über das Thema und Euphorie scheint in Skepsis umgeschlagen zu sein. Sind die Begriffe inzwischen schon zu abgedroschen?

Die Realität hat die Versicherungswirtschaft eingeholt. Es wurde in den Unternehmen viel mehr über Ökosysteme geredet als tatsächlich daran gearbeitet. Es gibt viele Gründe, warum Ökosysteme in der Assekuranz noch nicht den großen Durchbruch geschafft haben.

Der Begriff des Ökosystems

Der Begriff Ökosystem stammt ursprünglich aus der Ökologie. Im ökonomischen Kontext wurde der Begriff des Ökosystems erstmals 1993 von James F. Moore in einem Artikel der Zeitschrift Harvard Business Review eingeführt.1

Ein Ökosystem basiert auf der Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen rund um ein bestimmtes Thema oder eine Lebenswelt. Ziel des Kooperationsnetzwerkes ist es, den Kunden in dieser Lebenswelt umfassend zu betreuen. Ein Ökosystem ist nur dann erfolgreich, wenn der Nutzen der darin enthaltenen Produkte und Services für den Kunden größer ist als der Nutzen der Produkte und Dienstleistungen der Kooperationspartner für sich betrachtet. In Ökosystemen gilt eine andere Mathematik: Eins plus eins ist mehr als zwei! Es geht vor allem auch um Einfachheit und Bequemlichkeit für den Kunden.

Ökosystem-Integration vs. Embedded Insurance

Die Integration von Ökosystemen könnte auf die Erschließung eines neuen Vertriebspartners reduziert werden. In diesem Sinne wären Ökosysteme also nur neue Vertriebsbiotope. Aus Sicht der im Ökosystem verbundenen Kooperationspartner stellt das Produkt des neuen Kooperationspartners eine Cross-Selling-Chance über die Grenzen der eigenen Branche hinaus dar.

Im Gegensatz dazu ist Embedded Insurance ein besonderer Spezialfall einer Ökosystem-Integration. Hierbei handelt es sich um eine echte Integration in eine bereits bestehende Dienstleistung. Dies kann ein (physisches) Produkt oder ein Service sein. Es handelt sich also eher um eine Symbiose zwischen der bereits bestehenden Dienstleistung und einem Versicherungsprodukt oder einer Versicherungslösung. Embedded Insurance ist also nicht einfach ein weiteres Produkt, das dem Kunden innerhalb des Ökosystems zur Verfügung steht. Das folgende Beispiel veredutlicht den Unterschied.

Beispiel

Ein Robo-Advisor bietet seinen Kundinnen und Kunden auf seiner digitalen Plattform eine automatisierte Vermögensverwaltung auf Basis von ETFs an. Zusätzlich bietet der Robo-Advisor eine Todesfallversicherung und eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung von einem Kooperationspartner (Lebensversicherer) an. Beide Versicherungsprodukte können von den Kundinnen und Kunden unabhängig voneinander und unabhängig vom ETF-Sparplan über seine Plattform abgeschlossen werden. Es besteht keine direkte Verbindung zwischen dem ETF-Sparplan und den beiden Versicherungsprodukten. Diese Form der Integration ist ein Beispiel für eine Ökosystem-Integration. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Fall von Embedded Insurance. Dies wäre jedoch der Fall, wenn ein Premium-Angebot des Robo-Advisors für 10 Euro im Monat neben erweiterten Dienstleistungen (z.B. Live-Trading, exklusive Kapitalanlagen, Tagesgeldkonto) auch eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung beinhalten würde. Das Charmante an dieser Einbettung ist, dass die Versicherung automatisch in den Premium-Service integriert ist und im Leistungsfall die monatliche Sparrate des versicherten Kunden in den ETF-Sparplan automatisch übernimmt – eine Win-Win-Win-Situation für Kunde, Robo-Advisor und Versicherer.

Sechs Anknüpfungspunkte für Versicherer

In unseren bisherigen Projekten haben wir vor allem die folgenden sechs Faktoren als erfolgskritisch identifiziert.

  1. Faktor «Bewusstsein»: Obwohl das Thema schon seit einiger Zeit «herumgeistert», ist das Bewusstsein für die Potenziale und deren Nutzung noch sehr gering.
  2. Faktor «Denkweise»: Die bestehenden Vertriebskanäle werden weiterhin als dominant und relevant angesehen. Die neuen Kanäle werden nicht einmal als Nischen betrachtet. Man macht sich jedoch wenig Gedanken über den Vertrieb in 5, 10 oder 15 Jahren. Zudem wird das Thema Ökosysteme & Embedded Insurance auch für die bestehenden Vertriebskanäle relevanter werden.
  3. Faktor «Organisation»: Die Gravitation im Unternehmen zieht Innovation und neue Möglichkeiten stark in Richtung Status quo. Die Silo-Organisation trägt ihren Teil dazu bei, dass neue Ideen beim Eintritt in die Atmosphäre des Unternehmens praktisch direkt verglühen.
  4. Faktor «Dienstleistung»: Für die Integration in ein Ökosystem oder sogar für den eingebetteten Fall sind maßgeschneiderte Produkte und Dienstleistungen erforderlich. Ökosysteme wollen keine Produkte von der Stange. Das Angebot muss individuell auf die Kundengruppe im Ökosystem zugeschnitten sein. Dies können die meisten Versicherer derzeit nicht liefern. Der Produktentwicklungszyklus dauert ohnehin viel zu lange. Und mehrere parallele Produktentwicklungen überfordern bereits die Organisation. Kein Wunder, dass die meisten Lebensversicherer nach mehr als einem Jahr steigender Zinsen noch nicht in ihrem Produktportfolio reagiert haben. Dabei sind echte Innovationen und maßgeschneiderte Produkte die Türöffner für Ökosysteme.
  5. Faktor «Tech»: Es geht um die technologische, nachtlose Integration von Produkten und Services in das Ökosystem. Auch hier tun sich die Versicherer noch schwer. Ohne diese Integration wird ein Versicherer in Ökosystemen nicht mitspielen können.
  6. Faktor «Zeit»: In der Regel ist eine schnelle Umsetzung (Proof of Concept / Pilot) mit den Versicherern gar nicht möglich. Bei den üblichen Produktzyklen reden wir hier schnell von Jahren. So lange kann und will ein Ökosystem nicht warten. Auch eine schnelle Modifikation oder Erweiterung der Produkte & Services ist derzeit noch Zukunftsmusik.

Will sich ein Versicherer ernsthaft mit Ökosystemen beschäftigen, dann muss er sich bei allen Faktoren kritisch hinterfragen und auf Kurs bringen – allen voran bei den Faktoren «Bewusstsein» und «Denkweise».

Quellen und Anmerkungen

1 Der Artikel von James F. Moore ist über den folgenden Link abrufbar: https://hbr.org/1993/05/predators-and-prey-a-new-ecology-of-competition (letztmals abgerufen am 19.10.2023).