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Der Höchstrechnungszins wird erhöht – na und?!

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat verschiedenen Pressemitteilungen zur Folge1 beschlossen, den Höchstrechnungszins für neu abgeschlossene Lebensversicherungsverträge ab Januar 2025 von derzeit 0,25 Prozent (p.a.) auf 1 Prozent (p.a.) anzuheben. Nach zahlreichen Senkungen wäre dies die erste Erhöhung seit über 30 Jahren. Die Marktzinsen sind bereits seit geraumer Zeit deutlich gestiegen. Und nun zieht der Höchstrechnungszins gemächlich nach. Ist das für die Lebensversicherer, den Vertrieb und die Endkunden ein Grund zur Freude?

Was ist eigentlich der Höchstrechnungszins?

Der Höchstrechnungszins ist die Obergrenze des Kalkulationszinssatzes, den Lebensversicherer bei der Berechnung ihrer Rückstellungen, also ihrer bilanziellen Verpflichtungen, verwenden dürfen. Je niedriger der Höchstrechnungszins ist, desto höher sind diese Verpflichtungen. Der Höchstrechnungszins wird vom Gesetzgeber in der so genannten Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV)2 festgelegt.

Nach der letzten Erhöhung des Höchstrechnungszinses auf 4 Prozent im Jahr 1994 ging es nur noch abwärts (siehe nachfolgende Grafik). Im Jahr 2022 wurde der Höchstrechnungszins aufgrund des langanhaltenden Niedrigzinsumfelds sogar auf 0,25 Prozent gesenkt. Die Erhöhung auf 1 Prozent wäre eine Vervierfachung des aktuellen Wertes. Vom aktuellen Marktzins wäre der neue Höchstrechnungszins aber immer noch weit entfernt.


Grafik 1: Höchstrechnungszins vs. Marktzins. Als Referenz für den Marktzins verwenden wir in dieser Grafik die Umlaufrendite der Deutschen Bundesbank. Die Zeitreihe zum Marktzins kann über die Webseite der Deutschen Bundesbank heruntergeladen werden.

Historisch betrachtet lagen der Höchstrechnungszins und der Garantiezins in der Regel auf gleichem Niveau, dies änderte sich jedoch im Niedrigzinsumfeld:

  • Bei der „Modernen Klassik“ wird ein gegenüber dem Höchstrechnungszins niedrigerer Garantiezins, in der Regel sogar ein Garantiezins in Höhe von 0 Prozent, verwendet.
  • Im Jahr 2011 wurde in der DeckRV die im Zuge der sinkenden Marktzinsen notwendige Nachreservierung für Bestandsverträge mit hohen Garantiezinsen konkretisiert. Liegt der Garantiezins im jeweiligen Bestand über dem in der DeckRV definierten Referenzzins, muss eine entsprechende zusätzliche Rückstellung, die sogenannte Zinszusatzreserve, für diesen Bestand gebildet werden.

Wie sich eine Anhebung des Garantiezinses auf die Kalkulation von Lebensversicherungsprodukten auswirken kann, schauen wir uns im Folgenden näher an.

Risikoversicherungen werden billiger – vielleicht!

In der Regel wird bei Risikoversicherungen der Höchstrechnungszins als Garantiezins zur Kalkulation des Preises herangezogen. Die Erhöhung des Höchstrechnungszinses kann sich daher auf den Preis von Risikoversicherungen auswirken. Je nach Alter der versicherten Person, der Dauer des Versicherungsschutzes sowie der Beitragszahlungsdauer kann der Preis einer Risikoversicherung durch die Erhöhung sinken.

Der Grund für die Preisreduktion in der Todesfallversicherung liegt im versicherungsmathematischen Äquivalenzprinzip, das bei der Kalkulation zur Anwendung kommt. Dieses Prinzip besagt, dass die Todesfallleistung des Versicherers den Beiträgen des Kunden, also dem Preis für den Versicherungsschutz, entsprechen muss. Diese «Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung» führt dazu, dass der Lebensversicherer den Barwert3 seiner zukünftigen Versicherungsleistungen mit dem Barwert der zukünftigen Prämien gleichsetzt.

Wird nun bei einer Risikoversicherung wie der Todesfallversicherung der neue Höchstrechnungszins als Diskontsatz für die Barwertberechnung verwendet, so reduziert sich der Barwert. Dadurch sinkt die Prämie, also der Preis, den der Kunde für die Absicherung zu zahlen hat.

In der Regel ist bei einer Risikoversicherung jedoch nicht der kalkulierte Beitrag (Bruttobeitrag), sondern der Zahlbeitrag relevant. Der Zahlbeitrag ist der Betrag, den der Kunde tatsächlich zu zahlen hat. Er liegt unter dem Bruttobeitrag, wenn der Lebensversicherer Überschüsse an den Kunden in Form einer Beitragsreduktion weitergibt. Dies ist bei Risikoversicherungen marktüblich.

Da sich die Aussichten auf Überschüsse bei Risikoversicherungen durch die Höchstrechnungszinserhöhung nicht zwingend verändern, dürfte sich der Zahlbeitrag für einen neuen Kunden mit dem Jahreswechsel praktisch auch nicht ändern. Daher ist zu erwarten, dass der ein oder andere Lebensversicherer seine Kalkulation erst gar nicht anpassen wird – es sei denn es liegen weitere Gründe vor. Dies könnten zum Beispiel Wettbewerbsgründe sein oder weil sich die anderen Rechnungsgrundlagen (Kosten, Leistungswahrscheinlichkeiten) ebenfalls geändert haben und eine Neukalkulation ohnehin erforderlich ist.

Vor dem Hintergrund der doch eher überschaubaren positiven Auswirkungen einer möglichen Anhebung des Garantiezinses auf klassisch kalkulierte Risikoversicherungen, bleiben fondsgebundene Risikoversicherungen sowie Risikoversicherungen auf Basis von Garantiemechanismen, wie wir sie bereits von privaten Rentenversicherungen kennen, eine denkbare Alternative.

Sowohl bei der Klassik als auch bei der Modernen Klassik könnte ein Lebensversicherer durch einen höheren Garantiezins bei gleichem Beitrag des Kunden die Garantie etwas erhöhen. Da beide Produktkonzepte in der privaten Vorsorge eine untergeordnete Rolle spielen, ist die Diskussion über mögliche Auswirkungen einer Garantiezinserhöhung hier eher theoretischer Natur. Eine Renaissance dieser beiden konservativen Produktkategorien erwarten wir dadurch nicht.

Dagegen wird den so genannten Select-Produkten4 bei steigender Überschussbeteiligung eine Renaissance im Neugeschäft zugesprochen. Dies ist auch notwendig, da diese Produkt-Kategorie in den letzten Jahren nicht gerade mit üppiger Performance aufwarten konnte.5

Allerdings basieren Select-Produkte auf der Modernen Klassik. Für einen Lebensversicherer ist die Verwendung eines Garantiezinses in Höhe von 0 Prozent das risikominimierende Feature. Es ist daher zu erwarten, dass die Lebensversicherer bei den Select-Produkten den Garantiezins bei null belassen werden.

Da einerseits Klassik, Moderne Klassik und auch Select-Produkte im Neugeschäft kaum mehr attraktiv sind und andererseits die meisten Lebensversicherer am konventionellen Sicherungsvermögen („Deckungsstock“) festhalten wollen, dürften die Hybridprodukte weiter „en vogue“ bleiben.

Und hier verspricht ein höherer Garantiezins mehr Performance-Chancen, da mehr in die chancenreichen Anlagen investiert werden kann.

Eine marktnahe Ausgestaltung der Garantie kann aktuell zu einer deutlich höheren Investitionsquote führen. Daher ist die Erhöhung des Höchstrechnungszinses für einen Lebensversicherer kein Grund, nicht weiter über Klassik-Alternativen nachzudenken.

Die Akzeptanz der grundsätzlich sinnvollen lebenslangen Verrentung des angesparten Kapitals in einer privaten Rentenversicherung leidet heute unter anderem stark unter der optisch niedrigen garantierten Rente. Die Erhöhung des Garantiezinses im Neugeschäft kann dafür sorgen, dass der Rentenfaktor steigt.

Dementsprechend könnten je nach Festlegung des garantierten Rentenfaktors und der Kalkulation der garantierten Rente, diese ebenfalls um 10 Prozent steigen. Ob und inwieweit dies auch für den Rentenfaktor der heutigen Bestandsverträge gelten würde, ist grundsätzlich in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der privaten Rentenversicherung geregelt.

Mit dem Beispiel wird deutlich, dass die Anpassung des Garantiezinses allein vermutlich nicht ausreichen wird, um für die Kunden die lebenslange Verrentung auch optisch hinreichend attraktiv zu machen. Es bedarf zusätzlicher, innovativer Ideen für den Rentenbezug. Allen voran ist eine stärker anlageorientierte Rentenphase mit transparenten Rentensteigerungen unabdingbar.

Mehr zu den Rentenfaktoren einer privaten Rentenversicherung lesen Sie in meinem bis heute am häufigsten gelesenen Klartext-Artikel.

Fazit

Bei klassischen Lebensversicherungen werden sich für die Kunden die Verbesserungen bei Preis und Leistung durch die (maximal mögliche) Erhöhung des Garantiezinses stark in Grenzen halten. Daher sind Klassik-Alternativen in der Spar- und Rentenphase sowie auch bei Risikoprodukten weiterhin sinnvoll. Gerade das Produktangebot im Bereich der Einmalanlage, dem Stiefkind der ganzen Branche, ist derzeit unter ferner liefen. Daran ändert auch ein Garantiezins von 1 Prozent nicht viel.

Die Umsetzung der Garantiezinserhöhung wird die Produktentwicklung der meisten Lebensversicherer erst einmal lahmlegen. Der ein oder andere Versicherer, der noch nicht bereits vor der Entscheidung des BMF an der neuen Tarifgeneration gearbeitet hat, wird die Umstellung bis zum Januar 2025 kaum schaffen.

Die gute Nachricht ist, dass die Erhöhung des Garantiezinses keine Pflicht ist. Sie muss also nicht zwingend bis zum Januar 2025 umgesetzt sein. Ein Lebensversicherer kann seine ganzen Tarife auch noch später umstellen oder einfach warten, ob es in den nächsten Jahren nicht vielleicht noch eine weitere Erhöhung geben wird.

Die Produktentwicklung ist das Herz eines jeden Lebensversicherers. Ohne Produkte geht rein gar nichts. Doch der Zyklus für eine Neu- oder Weiterentwicklung dauert bei Lebensversicherern noch immer viel zu lange. Eine schnellere Produktentwicklung ist aber wichtig. Zum Beispiel um schneller auf individuelle Vertriebserfordernisse reagieren zu können.

Solange sich alle Lebensversicherer in etwa gleich viel Zeit lassen, ist die Geschwindigkeit bei der Produktentwicklung jedoch nahezu irrelevant. Sollte ein Lebensversicherer die Chancen einer schnellen Produktentwicklung erkennen und umsetzen, dann eröffnen sich für diesen Lebensversicherer ganz neue Perspektiven. Es liegen viele Chancen im Vertrieb. Sei es in den klassischen Vertriebswegen, aber auch in neuen Möglichkeiten zum Beispiel durch „embedded insurance“. Derzeit bleiben diese Chancen einfach liegen.

Dasselbe gilt auch für die Digitalisierung und Automatisierung, also die Transformation des Geschäftsbetriebs. Die Herausforderungen der Lebensversicherer sind also nach wie vor da. Sie verschwinden auch nicht aufgrund der (fast schon irrelevanten) Garantiezinserhöhung.

Spannend wird sein, ob es durch die mögliche Erhöhung des Garantiezinses zu einer Neuauflage der Diskussion rund um die Sinnhaftigkeit von Garantien kommen wird.

Quellen und Anmerkungen:

1: Im Internet sind hierzu diverse Artikel zu finden, so zum Beispiel auf handelsblatt.com den Artikel „Lebensversicherer dürfen höheren Garantiezins anbieten“.

2: Die Deckungsrückstellungsverordnung (offiziell „Verordnung über Rechnungsgrundlagen für die Deckungsrückstellungen“) ist eine Verordnung mit Vorschriften für die Berechnung der Deckungsrückstellung von Versicherungsverträgen unter anderem in der Lebensversicherung. In § 2 „Höchstzinssatz“ wird der Höchstrechnungszinssatz festgelegt.

3: Der Barwert ist der Gegenwartswert einer zukünftigen Leistung. Diese zukünftige Leistung wird mit einem angemessenen Zinssatz (Diskontierungssatz) auf den heutigen Zeitpunkt abgezinst. Der Barwert steht damit für den Zeitwert von Geld. Ein Euro, den ich in der Zukunft erhalte, ist weniger wert als ein Euro, den ich bereits heute besitze. Dazu ein Beispiel: Bei einem Zinssatz von 3 Prozent (p.a.) beträgt der Barwert von 100 Euro, die ich erst in einem Jahr erhalte, rund 97 Euro. Die 100 Euro, die ich in einem Jahr erhalte, haben für mich heute einen Geldwert von rund 97 Euro. Bei einem Zinssatz von 6 Prozent (p.a.) würde der aktuelle Geldwert sogar nur rund 94 Euro betragen. Je niedriger der Diskontierungssatz ist, desto höher ist also der Barwert.

4: Das Select-Produkt gehört zur Gattung „Moderne Klassik“. Auch bei einem Select-Produkt ist das gesamte Vertragsguthaben des Kunden wie bei der klassischen Lebensversicherung im konventionellen Sicherungsvermögen des Lebensversicherers („Deckungsstock“) angelegt. Lediglich die Verwendung der Überschussbeteiligung kann unterschiedlich sein. Bei einem Select-Produkt entscheidet in der Regel der Kunde jedes Jahr aufs Neue, was mit seiner Überschussbeteiligung geschehen soll. Er kann sie wie bei einer Klassik als „verzinsliche Ansammlung“ einfach seinem Vertragsguthaben zuführen. Der Kunde hat aber auch die Möglichkeit, seine Überschussbeteiligung in eine Beteiligung am Kapitalmarkt einzutauschen. Im Klartext-Artikel „Select-Produkte – Der (vermeintliche) Heilige Gral der Altersvorsorge“ werden die Select-Produkte ausführlicher dargestellt.

5: Der nachfolgende Link führt Sie zu einer Analyse zur Performance der Kapitalmarktpartizipation bei Select-Produkten in Deutschland im Jahr 2023 und davor: https://new-insurance-business.com/topical/auch-im-jahr-2023-uberzeugten-die-select-produkte-nicht/