Es ranken sich viele Mythen und Sagen rund um den Rentenfaktor von Rentenversicherungen. Es wird daher Zeit, diesen ein wenig auf die Spur zu gehen und die Wichtigkeit des Rentenfaktors bei der Auswahl einer Rentenversicherung genauer zu beleuchten.
Im zweiten Teil schauen wir uns heute an, welche Themen bei einer Rentenversicherung neben den Performance-Chancen in der Sparphase eigentlich wirklich wichtig sind!
Deshalb ist der (garantierte) Rentenfaktor überbewertet
Nicht die sich auf Basis einer (zweifelhaften) Hochrechnung ergebenden möglichen Startrente ist wirklich entscheidend. Es ist sehr gefährlich, sich getreu dem Motto „was man hat, hat man“ bei der Auswahl der Rentenversicherung nur auf den Rentenfaktor und die (mögliche) Startrente zu fokussieren. Bei der Auswahl und dem Vergleich von Rentenversicherungen muss auch der Rentenphase Aufmerksamkeit geschenkt werden. Folgende Faktoren und Themen spielen aus Kundensicht dabei eine sehr wichtige Rolle:
- Wie erfolgt die Kapitalanlage während der Rentenphase? Erfolgt Sie im konventionellen Sicherungsvermögen (also klassisch) oder besteht die Möglichkeit einer echten Teilnahme am Aktienmarkt? Im Kontext der aktuellen Niedrigzinsphase, einer Sparphase von 30 Jahren und einer ebenso langen Rentenbezugsphase erscheint es aus heutiger Sicht recht suboptimal, wenn die Kapitalanlage rein klassisch erfolgt. Für den Kunden sollte aber mindestens die Option auf eine echte Teilnahme am Kapitalmarkt bestehen.
- Wie hoch ist die Flexibilität in Bezug auf das vorhandene Vertragsguthaben? Kann der Kunde etwa Teile seines Guthabens entnehmen? Und kann er während der Rentenphase seinem „Rentenkonto“ auch Guthaben hinzufügen?
- Je nach Kapitalanlagemodell wird sich das Vertragsguthaben über die Rentenphase unterschiedlich entwickeln. Hier stellen sich grundsätzlich die gleichen Fragen wie auch bereits in der Sparphase (Stichwort „Rendite-Risiko-Profil“).
- Eine zentrale Frage ist natürlich auch, wie sich die Rente in der Rentenphase entwickeln wird. Kann es überhaupt zu Rentensteigerungen kommen? Sind diese Rentensteigerungen nach deren Realisierung ganz oder teilweise garantiert? Kann sich die Rente während der Rentenphase auch reduzieren? Hier ist zum Beispiel wichtig zu verstehen, dass der Rentenzuwachs, also der Teil der ausgezahlten Rente, der nicht garantiert ist, in der Regel auch während des Rentenbezugs unter Risiko steht. Der Rentenzuwachs kann gekürzt werden, wenn sich die Rechnungsgrundlagen nachteilig verändern. Eine Steigerung der angenommenen Lebenserwartung während des Rentenbezugs kann somit die Rente schmälern!
- Letztlich stellt sich auch die Frage, wie realistisch die prognostizierten Rentensteigerungen in den Angeboten sind. Wie transparent ist der Mechanismus der Rentensteigerungen dargestellt? In welchem Verhältnis stehen die Entwicklung bei der Kapitalanlage mit den zukünftigen Rentensteigerungen? Sind Rentensteigerungen einfach nachvollziehbar und objektiv?
Generell sollte das Produkt auch zum Rentenbeginn und während der Rentenphase maximal flexibel sein. Wer weiß denn schon, wie seine Lebenssituation mit 67 oder 80 Jahren aussieht: Ist man noch verheiratet? Welche weiteren Einkünfte hat man? Hat man noch jemanden zu versorgen? Wie ist es um die Gesundheit und den Lebensstil bestellt? Hier ist es wichtig zu prüfen, ob der Rentenversicherungsvertrag genug Optionen beinhaltet, um all den genannten Lebenssituationen gerecht zu werden.
Meine Meinung zum Schluss
Damit die Rentenphase wirklich Spaß macht, braucht der Kunde beim Rentenbeginn ordentlich viel Guthaben. Aus diesem Grund finde ich es besonders wichtig, dass die Rentenversicherung in der Sparphase auch genug Performance-Chancen bietet. Was bringt mir ein etwas höherer garantierter Rentenfaktor, wenn man fast sicher davon ausgehen muss, dass am Ende auch nicht viel mehr als die garantierte Rente zur Auszahlung kommt, weil die Konstruktion des Produkts kaum Performance-Chancen hergibt?
Der (garantierte) Rentenfaktor ist nur dann relevant, wenn es auch zu einer Verrentung kommt. Dies hängt von der Altersvorsorgeschicht, der persönlichen Situation des Kunden und von weiteren künftigen Entwicklungen ab: Etwa das zukünftige Angebot an geeigneten und attraktiven Tarifen für den Rentenbezug am Markt oder aber auch die Entwicklung der Lebenserwartung im Bestand des Lebensversicherers.
Der garantierte Rentenfaktor ergibt sich häufig anhand eines ordentlichen Abschlags auf den aktuellen Rentenfaktor, der selbst schon nicht sonderlich hoch ist. Verbraucherschützer monieren hier schon seit längerem, dass der Kunde 100 Jahre und älter werden muss, bis sich die Rentenversicherung ökonomisch für ihn auszahlt. Kann der tatsächliche Rentenfaktor zukünftig nicht vielleicht sogar besser sein als der garantierte Rentenfaktor? Dann wäre der garantierte Rentenfaktor hinfällig. Und was hat ein Kunde von einem „garantierten“ Rentenfaktor, wenn dieser am Ende – warum auch immer – doch nicht garantiert ist und nicht greift?
Ein Vermittler muss genau darüber Bescheid wissen, wie der Rentenfaktor bei einer vorgeschlagenen Rentenversicherung ausgestaltet ist und welche Einflussgrößen auf ihn wirken. Vor allem muss er seinen Kunden die Funktionsweise des Rentenfaktors und die möglichen Szenarien (z. B. die Anpassung des garantierten Rentenfaktors) näherbringen können.
Mir erscheint ein Wettbewerb über die Höhe des garantierten Rentenfaktors nicht angebracht. Zum einen schon, weil die Rentenfaktoren, wie oben beschrieben, recht überschaubar hoch sind. Aber vielleicht möchte ein Anbieter mit einem hohen garantierten Rentenfaktor auch nur über die schwachen Performance-Chancen und das mangelhafte Produkt-Design hinwegtäuschen.
Die gesamte Branche tut gut daran, endlich aufzuhören, dem Vertrieb und dem Endkunden Sand in die Augen zu streuen. Sei es bei der Sparphase mit aberwitzigen Hochrechnungen und fantastischen Ablaufleistungen oder eben mit einer Fehlleitung über die Rentenfaktoren. Genauso wie in der Vergangenheit für die Sparphase das Thema „Garantie“ und „Garantiezins“ überstrapaziert wurde, wird dies auch bei den Rentenfaktoren getan.
In einem früheren Artikel habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Rentenbezugsphase von den Lebensversicherern oft stiefmütterlich behandelt wird. Für den Rentenbezug ist die Flexibilität bei der Verfügbarkeit des Kapitals aber auch die Kapitalanlage immer wichtiger.
Der Wettbewerb um die Rentenphase wird zunehmen. In Zukunft werden dadurch die Karten zum Rentenbeginn neu gemischt. Hier kommt dem Vermittler eine besondere Aufgabe zu. Ein nahender Rentenbeginn ist aus meiner Sicht eine willkommene Gelegenheit für den Versicherungsvermittler, seinen Kunden zur Seite zu stehen.
Realistische und transparente Informationen zur Rentenphase sind bei einer Rentenversicherung mehr als nur „nice to have“. Vermittler sollten daher auf die Informationen zum Rentenbezug und auf die im Rentenbezug geplante Kapitalanlage achten. Fehlende und unverständliche Informationen sollten den Vermittler stutzig machen. Am besten dann gleich die Finger von solchen Produkten lassen.
Die Zukunft der Rentenversicherung ist ein flexibles „Rentenkonto“, bei dem der Kunde neben der Kapitalanlage auch die Art und Weise der Verrentung sowie die Rentensteigerungsform flexibel anpassen kann. Und natürlich wird der Kunde vom Anbieter nicht erst bei Rentenbeginn, sondern fortlaufend während der Laufzeit über seinen tatsächlichen Rentenfaktor informiert. So kann er bei Veränderungen unmittelbar handeln.
Warum gibt es ein solches Rentenkonto eigentlich noch nicht?